Eine ferne – und einsame – Galaxie scheint all ihre früheren Begleitgalaxien assimiliert zu haben. Dieses Ergebnis des Chandra X-ray Observatory und des International Gemini Observatory könnte die Grenzen erweitern, wie schnell Galaxien im jungen Universum wachsen.
Die unerwartete einzelne Galaxie liegt rund 9,2 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt und besitzt einen Quasar – ein supermassives Schwarzes Loch, das Gas in das Zentrum der Galaxie zieht und gewaltige Materiejets emittiert, welche im Radiowellenbereich sichtbar sind. Die Umgebung dieser Galaxie namens 3C 297 scheint die Schlüsselmerkmale eines Galaxienhaufens aufzuweisen – das sind enorme Strukturen, die normalerweise hunderte oder sogar tausende Galaxien enthalten. Dennoch ist 3C 297 allein.
“Es scheint so, als hätten wir einen Galaxienhaufen, dem fast alle seine Galaxien fehlen”, sagte Valentina Missaglia von der University of Torino (Italien), die Studienleiterin. “Wir gingen davon aus, mindestens ein Dutzend Galaxien von der Größe der Milchstraßen-Galaxie zu sehen, aber wir sehen nur eine.”
Missaglia und ihre Kollegen sehen zwei Schlüsselmerkmale eines Galaxienhaufens in den Chandra-Röntgendaten. Erstens offenbaren die Röntgendaten, dass die einsame Galaxie von großen Mengen Gas mit Temperaturen von zig Millionen Grad umgeben ist. Das wird normalerweise nur bei Galaxienhaufen beobachtet.
Zweitens hat der Jet des supermassiven Schwarzen Lochs eine starke Röntgenquelle erzeugt, die rund 140.000 Lichtjahre entfernt ist, was darauf hindeutet, dass er dort auf umgebendes Gas traf. Ein drittes Merkmal von Galaxienhaufen, das 3C 297 aufweist, wurde bereits anhand Daten des Karl G. Jansky Very Large Array erkannt: Einer der Radiojets ist gekrümmt, was für Wechselwirkungen mit seiner Umgebung spricht.
Trotz dieser wichtigen Eigenschaften von Galaxienhaufen offenbarten die Daten des Gemini Observatory in Hawaii, dass keine der 19 Galaxien, welche auf einer optischen Aufnahme des Gemini Observatory nahe 3C 297 erscheinen und für die es genaue Distanzmessungen gibt, tatsächlich in derselben Distanz liegt wie die einsame Galaxie.
“Die Frage ist, was geschah mit den ganzen Galaxien?”, sagte der Co-Autor Juan Madrid von der University of Texas in Rio Grande Valley. “Wir denken, dass die gravitative Anziehungskraft der einen größeren Galaxie und Wechselwirkungen zwischen den Galaxien zu stark waren und dass sie mit der größeren Galaxie verschmolzen. Für diese Galaxien war Widerstand anscheinend zwecklos.”
Die Wissenschaftler vermuten, dass 3C 297 kein Galaxienhaufen mehr ist, sondern eine “fossile Gruppe”. Das ist das Endstadium einer Galaxie, die mit mehreren anderen Galaxien verschmilzt. Obwohl bisher schon viele andere fossile Gruppen nachgewiesen wurden, ist diese mit 9,2 Milliarden Lichtjahren besonders weit entfernt. Die vorherigen Rekordhalter für fossile Gruppen lagen in Distanzen von 4,9 Milliarden beziehungsweise 7,9 Milliarden Lichtjahren.
“Es könnte anspruchsvoll sein zu erklären, wie das Universum dieses System nur 4,6 Milliarden Jahre nach dem Urknall erschaffen hat”, sagte der Co-Autor Mischa Schirma vom Max-Planck-Institut für Astronomie. “Das bricht nicht unsere Theorien zur Kosmologie, sondern beginnt die Grenzen dessen zu erweitern, wie schnell sich Galaxien und Galaxienhaufen gebildet haben müssen.”
Die Autoren können die Anwesenheit von Zwerggalaxien um 3C 297 nicht ausschließen, aber ihre Präsenz würde immer noch nicht das Fehlen größerer Galaxien ähnlich der Milchstraßen-Galaxie erklären. Nahe Beispiele sind M87 im Virgo-Galaxienhaufen, die Milliarden Jahre lang galaktische Begleiter besaß. Allerdings wird 3C 297 Milliarden Jahre praktisch alleine verbringen.
Die neue Studie wurde in der Ausgabe des Astrophysical Journal vom Januar 2023 veröffentlicht.
Frühere Chandra-Beobachtungen dauerten nur drei Stunden und zeigten Hinweise auf das heiße Gas, das in der neuen Studie untersucht wurde, wie die Co-Autorin Chiara Stuardi in einer Studie berichtete, die im April 2018 in Astrophysical Journal Supplement Series erschien. Es wurden jedoch viel tiefere Chandra-Beobachtungen benötigt, um es zu bestätigen. Die Chandra-Beobachtungen von 3C 297 wurden mit einer Gesamtzeit von 2,5 Tagen im April und August 2021 und 2022 gemacht.
Video-Link: https://youtu.be/-1LsLmcImp8
Das Marshall Space Flight Center der NASA leitet das Chandra-Programm. Das Chandra X-ray Center am Smithsonian Astrophysical Observatory steuert die wissenschaftlichen Operationen von Cambridge (Massachusetts) und die Flugoperationen von Burlington (Massachusetts). Das International Gemini Observatory wird vom NOIRLab der National Science Foundation betrieben.
(THK)
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