Ein internationales Astronomenteam unter Leitung niederländischer Forscher hat keine Spuren von Dunkler Materie in der Galaxie AGC 114905 gefunden, trotz detaillierter Messungen mit modernen Teleskopen im Zeitraum von 40 Stunden. Sie werden ihre Ergebnisse in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society präsentieren.
Als Pavel Mancera Piña (University of Groningen und ASTRON, Niederlande) und seine Kollegen sechs Galaxien mit wenig bis gar keiner Dunkler Materie entdeckten, wurde ihnen gesagt: „Messt noch einmal und ihr werdet sehen, dass es dort Dunkle Materie um eure Galaxie geben wird“. Nach einer 40-stündigen Detailbeobachtung mit dem Very Large Array (VLA) in New Mexico wurden die Anzeichen für eine Galaxie frei von Dunkler Materie allerdings nur stärker.
Die fragliche Galaxie namens AGC 114905 liegt rund 250 Millionen Lichtjahre entfernt. Sie ist als eine ultradiffuse Zwerggalaxie klassifiziert, wobei sich der Begriff Zwerggalaxie auf ihre Helligkeit bezieht und nicht auf ihre Größe. Die Galaxie ist ungefähr so groß wie unsere eigene Milchstraßen-Galaxie, aber enthält tausendmal weniger Sterne. Die vorherrschende Theorie besagt, dass alle Galaxien, und insbesondere ultradiffuse Zwerggalaxien, nur existieren können, wenn sie durch Dunkle Materie zusammengehalten werden.
Die Forscher sammelten mit dem VLA zwischen Juli und Oktober 2020 rund 40 Stunden lang Daten über die Rotation von Gas in AGC 114905. Anschließend erstellten sie ein Diagramm, das die Distanz des Gases zum Zentrum der Galaxie auf der X-Achse und die Rotationsgeschwindigkeit des Gases auf der Y-Achse zeigt. Das ist ein Standardweg, um die Präsenz von Dunkler Materie zu nachzuweisen. Das Diagramm zeigt, dass die Bewegungen des Gases in AGC 114905 vollständig durch die normale Materie allein erklärt werden können.
„Das ist natürlich das, was wir annahmen und hofften, weil es unsere früheren Messungen bestätigt“, sagte Pavel Mancera Piña. „Aber jetzt bleibt das Problem, dass es der Theorie zufolge Dunkle Materie in AGC 114905 geben muss, aber unsere Beobachtungen zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Der Unterschied zwischen der Theorie und den Beobachtungen wird dadurch nur größer.“
In ihrer wissenschaftlichen Abhandlung listen die Forscher die möglichen Erklärungen für den Mangel an Dunkler Materie nacheinander auf. Beispielsweise könnte AGC 114905 ihrer Dunklen Materie durch große benachbarte Galaxien beraubt worden sein. „Aber es gibt dort keine. Und in dem gängigsten Rahmenwerk zur Galaxienentstehung, dem sogenannten Kalte-Dunkle-Materie-Modell, müssten wir extreme Parameterwerte einführen, die weit jenseits des üblichen Bereichs sind. Auch mit der modifizierten Newtonschen Dynamik, einer alternativen Theorie zur kalten Dunklen Materie, können wir die Bewegungen des Gases innerhalb der Galaxie nicht reproduzieren“, sagte Mancera Piña.
Den Wissenschaftlern zufolge gibt es eine weitere Vermutung, die ihre Schlussfolgerungen ändern könnte. Das ist der geschätzte Winkel, unter dem sie ihrer Meinung nach die Galaxien beobachten. „Aber dieser Winkel muss sehr stark von unseren Schätzungen abweichen, bevor es wieder Raum für Dunkle Materie gibt“, sagte der Co-Autor Tom Oosterloo (ASTRON).
In der Zwischenzeit untersuchen die Forscher detailliert eine zweite ultradiffuse Zwerggalaxie. Wenn in der Galaxie erneut keine Spur von Dunkler Materie beobachtet wird, wird das die Belege für Galaxien mit wenig Dunkler Materie sogar noch stärken.
Die Studie von Mancera Piña und seinen Kollegen ist kein Einzelfall. Beispielsweise entdeckte Pieter van Dokkum (Yale University, USA) bereits zuvor eine Galaxie ohne Dunkle Materie. Die Techniken und Messungen von Mancera Piña und seinen Kollegen sind jedoch robuster.
(THK)
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