Astronomen haben mit Daten des NASA-Weltraumteleskops Chandra und des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile erstmals einen speziellen Neutronensterntyp außerhalb der Milchstraßen-Galaxie identifiziert.
Neutronensterne sind die ultradichten Kerne von massereichen Sternen, die in einer Supernova explodierten und kollabierten. Dieser kürzlich identifizierte Neutronenstern gehört einem seltenen Typ an, der ein schwaches Magnetfeld und keinen stellaren Begleiter besitzt. Der Neutronenstern befindet sich in den Überresten einer Supernova mit der Katalogbezeichnung 1E 0102.2-7219 (kurz E0102) in der Kleinen Magellanschen Wolke, rund 200.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Dieses neue Kompositbild (hohe Auflösung) von E0102 erlaubt Astronomen, neue Details über dieses Objekt zu erfahren, das vor über drei Jahrzehnten entdeckt wurde. Auf diesem Bild sind die von Chandra registrierten Röntgenwellenlängen in Blau und Violett dargestellt. Sichtbare Wellenlängen, aufgenommen vom Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) Instrument des Very Large Telescope, sind hellrot. Weitere Daten, die vom Weltraumteleskop Hubble stammen, sind in Dunkelrot und Grün zu sehen.
Sauerstoffreiche Supernova-Überreste wie E0102 sind wichtig, um zu verstehen, wie massereiche Sterne leichtere Elemente zu schwereren fusionieren, bevor sie explodieren. Sauerstoffreiche Supernova-Überreste werden ein paar tausend Jahre nach der ursprünglichen Explosion beobachtet und enthalten die Reste der von dem toten Stern abgestoßenen inneren Materie. Diese Überreste, auf dem Bild als grüne Filamentstrukturen erkennbar, rasen heute durch den Weltraum, nachdem sie mit Geschwindigkeiten von mehreren Millionen Kilometern pro Stunde abgestoßen wurden.
Chandra-Beobachtungen von E0102 zeigen, dass der Supernova-Überrest im Röntgenbereich von einer großen, ringförmigen Struktur dominiert wird, die mit der Schockwelle der Supernova in Zusammenhang steht. Die neuen MUSE-Daten enthüllten einen kleineren Gasring (hellrot), der sich langsamer ausdehnt als die Schockwelle. Im Zentrum dieses Rings liegt eine blaue punktähnliche Röntgenquelle.
Zusammen kombiniert, sprechen die MUSE- und Chandra-Daten dafür, dass diese Röntgenquelle ein isolierter Neutronenstern ist, der durch die Supernova-Explosion vor etwa zwei Jahrtausenden entstand. Die Röntgenenergiesignatur – das Spektrum – dieser Quelle gleicht sehr den Signaturen der Neutronensterne in den Zentren zweier anderer berühmter, sauerstoffreicher Supernova-Überreste: Cassiopeia A (Cas A) und Puppis A. Diese beiden Neutronensterne besitzen ebenfalls keine stellaren Begleiter.
Das Fehlen von Belegen für erweiterte Radioemissionen oder pulsierte Röntgenstrahlung, die normalerweise mit rasch rotierenden, hochgradig magnetisierten Neutronensternen einhergehen, lässt darauf schließen, dass die Astronomen die Röntgenstrahlung von der heißen Oberfläche eines isolierten Neutronensterns mit schwachen Magnetfeldern registriert haben. Etwa zehn derartige Objekte wurden bisher in der Milchstraßen-Galaxie entdeckt, aber dies ist das erste, das außerhalb unserer Galaxie gefunden wurde.
Aber wie gelangte dieser Neutronenstern an seine aktuelle Position, scheinbar außerhalb des Zentrums der kreisförmigen Hülle aus Röntgenemissionen, die durch die Schockwelle der Supernova entstanden?
Eine Möglichkeit ist, dass die Supernova-Explosion nahe der Mitte des Überrests auftrat, aber der Neutronenstern aufgrund einer asymmetrischen Explosion mit einer hohen Geschwindigkeit von etwa 3,2 Millionen Kilometern pro Stunde von dem Ort fortkatapultiert wurde. Bei diesem Szenario ist es jedoch schwierig zu erklären, warum der Neutronenstern heute eng von dem kürzlich entdeckten Gasring umgeben ist, den man in optischen Wellenlängen sieht.
Eine andere mögliche Erklärung besagt, dass der Neutronenstern sich langsam bewegt und seine aktuelle Position ungefähr dem Explosionsort der Supernova entspricht. In diesem Fall könnte die Materie in dem optisch sichtbaren Ring entweder während der Supernova-Explosion abgestoßen worden sein, oder von dem Vorläuferstern bereits ein paar tausend Jahre vorher.
Eine Herausforderung für dieses zweite Szenario besteht darin, dass der Explosionsort weit entfernt vom Zentrum des Überrests liegen würde, wie anhand der ausgedehnten Röntgenemissionen festgestellt wurde. Das würde eine Reihe besonderer Umstände für die Umgebung von E0102 voraussetzen, beispielsweise einen durch stellare Winde des Vorläufersterns erodierten Hohlraum vor der Supernova-Explosion und Variationen bei der Dichte des interstellaren Gases und Staubs, die den Überrest umgeben.
Zukünftige Beobachtungen von E0102 in Röntgen-, Radio- und optischen Wellenlängen sollten Astronomen helfen, dieses spannende neue Rätsel des einsamen Neutronensterns zu lösen.
Eine Abhandlung, die diese Ergebnisse beschreibt, wurde in der April-Ausgabe des Journals Nature Astronomy veröffentlicht und ist online verfügbar.
Das Marshall Space Flight Center der NASA in Huntsville (Alabama) leitet das Chandra-Programm für das Science Mission Directorate der Agentur in Washington. Das Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge (Massachusetts) steuert Chandras Wissenschafts- und Flugoperationen.
(THK)
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