Das Doppelsternsystem Her X-1 besteht aus einem Neutronenstern mit 1,5 Sonnenmassen (dem superdichten kollabierten Überrest eines massereichen Sterns) und dem Stern HZ Herculis mit 2,2 Sonnenmassen. Es liegt etwa 22.000 Lichtjahre entfernt und war der erste bekannte Doppelstern, der Röntgenstrahlung emittiert. Das System wurde 1971 von dem Uhuru-Satelliten entdeckt und ist das Prototyp-Objekt für seine Klasse der Röntgendoppelsterne.
Die Röntgenstrahlung wird produziert, wenn Materie aus der äußeren Atmosphäre des normalen Sterns durch die Gravitation des Neutronensterns abgezogen wird und sich in einer heißen Akkretionsscheibe um den Neutronenstern sammelt. Her X-1 ist ein Pulsar und sein Strahl rotiert mit einer Periode von 1,24 Sekunden. Die beiden Sterne des Systems umkreisen einander alle 1,7 Tage in einer fast kreisförmigen Umlaufbahn, die aus unserer Beobachtungsperspektive hochgradig geneigt ist. Das resultiert in regelmäßigen Bedeckungen der Emissionen und Pulse des Neutronensterns.
Neben diesen variablen Strukturen zeigt Her X-1 auch regelmäßige Variationen in einem 35-tägigen Muster, was deutlich länger ist als die 1,7-tägige Umlaufperiode. Diese sogenannten superorbitalen Perioden werden auch bei anderen hellen Röntgendoppelsternen beobachtet, und man vermutet, dass sie die Folge einer Verzerrung der Akkretionsscheibe sind.
Astronomen versuchen das Verhalten dieser komplexen und variablen Röntgenemissionen zu analysieren, um die detaillierte Struktur der Akkretionsscheibe um Neutronensterne zu modellieren und um die physikalischen Mechanismen besser zu verstehen, die in diesen Systemen am Werk sind.
Der Astronom Saega Vrtilek vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) war Mitglied eines Teams, das eine neue Studie über die Veränderlichkeit der Röntgenpulse von Her X-1 abgeschlossen hat. Die Daten stammen von den Weltraumobservatorien XMM-Newton und NuSTAR und umfassen einen vollständigen 35-tägigen superorbitalen Zyklus. Diese Beobachtungen wurden durch Archivdaten ergänzt. Die Modellierung ergab, dass die Akkretionsscheibe verzerrt ist und präzediert – das sind Schlussfolgerungen, die mit früheren Ergebnissen übereinstimmen.
Obwohl sie die Geometrie der ausgestoßenen Pulsarstrahlen nicht eingrenzen konnten, schlussfolgern die Forscher, dass die energiereichste Röntgenstrahlung in den Pulsarstrahlen zu finden ist, während die weniger energiereiche Röntgenemission aus Regionen der verzerrten Akkretionsscheibe stammt, die von dem rotierenden Pulsarstrahl überstrichen wird. Das Modell grenzt erfolgreich die Geometrie des Jet-Scheiben-Systems und die Energieverteilung im Röntgenspektrum ein.
Abhandlung: “A Broad-Band X-Ray View of the Precessing Accretion Disk and Pre-eclipse Dip in the Pulsar Her X-1 With NuSTAR and XMM-Newton” von McKinley C. Brumback, Ryan C. Hickox, Felix S. Furst, Katja Pottschmidt, John A. Tomsick, Jorn Wilms, Rudiger Staubert und Saeqa Vrtilek, The Astrophysical Journal, 2021.
(THK)
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