Astronomen entdecken den bislang massereichsten Pulsar

Künstlerische Darstellung eines Schwarze-Witwe-Pulsars mit Strahlen aus Radiowellen (Grün) und Gammalicht (Magenta). Der Pulsar heizt seinen Begleitstern auf und verdampft ihn langsam. (Credits: NASA’s Goddard Space Flight Center)
Künstlerische Darstellung eines Schwarze-Witwe-Pulsars mit Strahlen aus Radiowellen (Grün) und Gammalicht (Magenta). Der Pulsar heizt seinen Begleitstern auf und verdampft ihn langsam. (Credits: NASA’s Goddard Space Flight Center)

Millisekundenpulsare rotieren viel schneller, als man es von einem kollabierten Stern erwarten würde. Die beste Möglichkeit zur Untersuchung dieser Neutronensterne besteht darin, ein „Schwarze-Witwe“-System zu finden, bei dem der Pulsar einen Großteil seines Begleitsterns aufgezehrt hat. Das Keck-I-Teleskop konnte Spektren eines solchen Begleitsterns erstellen, was Astronomen erlaubte, die Masse des Pulsars zu bestimmen. Es ist der bislang massereichste und liegt möglicherweise nahe der oberen Massengrenze für einen Neutronenstern.

Ein dichter, kollabierter Stern, der 707 Mal pro Sekunde rotiert – das macht ihn zu einem der am schnellsten rotierenden Neutronensterne in der Milchstraßen-Galaxie. Er hat fast die gesamte Masse seines stellaren Begleiters verschlungen und ist durch diesen Prozess zum schwersten Neutronenstern angewachsen, der bislang beobachtet wurde.

Die Massenbestimmung dieses rekordbrechenden Neutronensterns mit 2,35 Sonnenmassen hilft Astronomen, den seltsamen Quantenzustand der Materie innerhalb dieser dichten Objekte zu verstehen. Wenn diese Objekte noch viel massereicher werden, kollabieren sie vollständig und werden zu einem Schwarzen Loch.

„Wir wissen grob, wie sich die Materie in nuklearen Dichten verhält, beispielsweise im Kern eines Uranatoms“, sagte Alex Filippenko, Distinguished Professor of Astronomy an der University of California in Berkeley. Ein Neutronenstern ist wie ein gigantischer Atomkern, aber wenn man 1,5 Sonnenmassen dieser Materie hat, was etwa 500.000 Erdmassen entspricht, ist nicht ganz klar, wie sie sich verhalten wird.“

Roger W. Romani, ein Professor für Astrophysik an der Stanford University, betonte, dass Neutronensterne so dicht sind, dass ihre Kerne die dichteste Materie im Universum aufweisen. Noch dichter sind nur Schwarze Löcher, die allerdings hinter ihrem Ereignishorizont verborgen liegen und unmöglich direkt zu untersuchen sind. Der Neutronenstern – ein Pulsar mit der Katalogbezeichnung PSR J0952-0607 – ist damit das dichteste Objekt in Sichtweite der Erde.

Die Messung der Masse des Neutronensterns war möglich dank der extremen Empfindlichkeit des 10-Meter-Keck-I-Teleskops auf dem Maunakea (Hawaii), das kürzlich in der Lage war, ein Spektrum der sichtbaren Wellenlängen von dem leuchtenden Begleitstern zu erstellen, der jetzt auf die Größe eines großen Gasplaneten geschrumpft ist. Die Sterne liegen rund 3.000 Lichtjahre von der Erde entfernt in Richtung des Sternbildes Sextans (Sextant).

PSR J0952-0607 wurde im Jahr 2017 entdeckt und ist als ein „Schwarze-Witwe“-Pulsar klassifiziert. Das ist eine Anlehnung an die Neigung von weiblichen Schwarzen Witwen, nach dem Geschlechtsakt ihre viel kleineren männlichen Partner zu fressen. Filippenko und Romani haben Schwarze-Witwe-Systeme seit mehr als einem Jahrzehnt untersucht und hoffen die obere Massengrenze zu finden, bis zu der Neutronensterne und Pulsare wachsen können.

Auf dem Bild ist die Position des schwachen Begleitsterns (grüner Kreis) markiert. (Credits: W. M. Keck Observatory, Roger W. Romani, Alex Filippenko)
Auf dem Bild ist die Position des schwachen Begleitsterns (grüner Kreis) markiert. (Credits: W. M. Keck Observatory, Roger W. Romani, Alex Filippenko)

„Durch die Kombination dieser Messung mit jenen von verschiedenen anderen Schwarze-Witwe-Systemen zeigen wir, dass Neutronensterne mindestens diese Masse erreichen müssen: 2,35 ± 0,17 Sonnenmassen“, sagte Romani, Physikprofessor an der School of Humanities and Sciences und Mitglied des Kavli Institute for Particle Astrophysics and Cosmology. „Das wiederum liefert uns die engsten Grenzen für die Eigenschaften der Materie, die mehrere Male dichter ist als jene innerhalb Atomkernen. Viele ansonsten populäre Modelle der Dichte-Materie-Physik werden durch dieses Ergebnis tatsächlich ausgeschlossen.“

Wenn 2,35 Sonnenmassen nahe der oberen Massengrenze für Neutronensterne liegen, dann besteht das Innere den Forschern zufolge aus einer Suppe aus Neutronen und Up- und Down-Quarks (den Bestandteilen normaler Protonen und Neutronen), aber nicht aus exotischer Materie wie Strange-Quarks oder Kaonen (Teilchen, die ein Strange-Quark enthalten).

„Eine hohe Maximalmasse für Neutronensterne deutet darauf hin, dass sie ein Gemisch aus Kernen und deren gelösten Up- und Down-Quarks bis in ihr Zentrum aufweisen“, sagte Romani. „Das schließt viele vorgeschlagene Materiezustände aus, insbesondere jene mit einer exotischen Zusammensetzung.“

Romani, Filippenko und der Doktorand Dinesh Kandel von der Stanford University sind Co-Autoren einer Studie, die die Ergebnisse des Teams beschreibt und die zur Veröffentlichung in den Astrophysical Journal Letters eingereicht wurde.

Wie groß können sie werden?

Astronomen stimmen im Allgemeinen darin überein, dass ein Stern mit einem Kern schwerer als 1,4 Sonnenmassen ein dichtes, kompaktes Objekt bildet, wenn er am Ende seines Lebens kollabiert. Dieses kompakte Objekt besitzt einen inneren Aufbau, der unter derart hohem Druck steht, dass alle Atome komprimiert sind und sie ein Meer aus Neutronen und deren Bestandteilen (Quarks) bilden. Diese Neutronensterne entstehen rotierend und obwohl sie in sichtbaren Wellenlängen zu schwach sind, um beobachtet zu werden, verraten sie sich selbst als Pulsare: Sie emittieren periodische Strahlen aus Radiowellen, Röntgenlicht oder sogar Gammalicht, welche die Erde überstreichen, während sie rotieren – ähnlich wie der rotierende Strahl eines Leuchtturms.

Gewöhnliche Pulsare rotieren und blinken durchschnittlich etwa einmal pro Sekunde – das ist eine Geschwindigkeit, die leicht durch die normale Rotation des Sterns vor seinem Kollaps erklärt werden kann. Aber manche Pulsare rotieren Hunderte Male oder bis zu 1.000 Mal pro Sekunde, was schwer zu erklären ist, wenn keine Materie auf den Neutronenstern fiel und ihn beschleunigt hat. Aber bei einigen Millisekundenpulsaren ist kein Begleitstern sichtbar.

Eine mögliche Erklärung für isolierte Millisekundenpulsare ist, dass sie zwar einst einen Begleitstern besaßen, ihn aber völlig auflösten.

„Der Entwicklungsweg ist absolut faszinierend, doppeltes Ausrufezeichen“, sagte Filippenko. „Wenn sich der Begleitstern entwickelt und beginnt, sich zu einem Roten Riesen aufzublähen, gelangt Materie auf den Neutronenstern und das beschleunigt dessen Rotation. Durch den Geschwindigkeitszuwachs erhält er unglaublich viel Energie und beginnt einen Teilchenwind zu emittieren. Dieser Wind trifft dann den Begleitstern und fängt an, Materie von ihm mitzureißen. Mit der Zeit reduziert sich die Masse des Begleitsterns auf die eines Planeten und wenn noch mehr Zeit vergeht, verschwindet er komplett. So könnten isolierte Millisekundenpulsare entstanden sein. Sie waren am Anfang gar nicht allein – sie mussten Teil eines Doppelsternsystems sein – aber dann verdampften sie ihre Begleitsterne und jetzt sind sie allein.“

Der Pulsar PSR J0952-0607 und sein schwacher Begleitstern unterstützen diese Entstehungsgeschichte für Millisekundenpulsare.

„Diese planetenähnlichen Objekte sind die Überreste normaler Sterne, die Masse und Drehimpuls beigetragen und ihre Pulsare auf Rotationsperioden im Millisekundenbereich beschleunigt haben, wobei sie auch deren Massen erhöhten“, sagte Romani.

„In einem Fall von kosmischer Undankbarkeit heizt der Schwarze-Witwe-Pulsar, der einen Großteil seines Begleiters verzehrte, jetzt den Begleitstern auf und verdampft ihn bis auf eine planetare Masse und vielleicht bis zur völligen Auslöschung“, sagte Filippenko.

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Video-Link: https://youtu.be/kgI3w4SOAik

 

Zu den „Spinnen-Pulsaren“ gehören Rotrücken und Tidarren

Die Entdeckung von Schwarze-Witwe-Pulsaren, deren Begleitstern klein, aber nicht zu schwach für einen Nachweis ist, ist eine von wenigen Möglichkeiten, um die Masse von Neutronensternen zu bestimmen. Im Fall dieses Doppelsternsystems wird der Begleitstern, der jetzt nur noch 20 Jupitermassen aufweist, durch die Masse des Neutronensterns verzerrt und zeigt eine gebundene Rotation. Das ähnelt der Art und Weise, wie unser Mond an die Erde gebunden ist, so dass wir immer dieselbe Seite sehen. Die Seite des Begleitsterns, die dem Neutronenstern zugewandt ist, heizt sich auf Temperaturen von etwa 6.200 Kelvin auf – etwas heißer als die Oberfläche unserer Sonne und gerade hell genug, um mit einem großen Teleskop beobachtet werden zu können.

Filippenko und Romani richteten das Keck-I-Teleskop in den letzten vier Jahren sechsmal auf PSR J0952-0607, wobei das Low Resolution Imaging Spectrometer in 15 Minuten langen Abschnitten zum Einsatz kam, um den schwachen Begleitstern an bestimmten Positionen seines 6,4 Stunden langen Orbits um den Pulsar zu erfassen. Durch Vergleiche der Spektren mit jenen von sonnenähnlichen Sternen konnten sie die Orbitalgeschwindigkeit des Begleitsterns messen und die Masse des Neutronensterns berechnen.

Filippenko und Romani haben bisher etwa ein Dutzend Schwarze-Witwe-Systeme untersucht, von denen nur sechs einen Begleitstern hatten, der hell genug war, um eine Massenberechnung durchzuführen. Alle beteiligten Neutronensterne sind masseärmer als der Pulsar PSR J0952-0607. Sie hoffen weitere Schwarze-Witwe-Pulsare zu untersuchen, sowie ihre Cousins: Rotrücken (Redbacks), benannt nach dem australischen Äquivalent der Schwarzen-Witwe-Pulsare mit Begleitsternen, deren Massen näher an einem Zehntel der Sonnenmasse liegen. Und Objekte, die Romani als Tidarren bezeichnet: Hier hat der Begleitstern etwa ein Hundertstel einer Sonnenmasse. Die Bezeichnung ist angelehnt an die Spinnenart Tidarren sisyphoides, bei der das Männchen nur etwa ein Prozent der Größe des Weibchens erreicht.

„Wir können weiter nach Schwarze-Witwe-Pulsaren und ähnlichen Neutronensternen suchen, die noch näher an der Massengrenze zum Schwarzen Loch liegen. Aber wenn wir keine finden, untermauert es die Einschätzung, dass 2,3 Sonnenmassen die wahre Grenze darstellen; jenseits dieser Grenze werden sie zu Schwarzen Löchern“, sagte Filippenko.

„Das liegt genau an der Grenze dessen, was das Keck-Teleskop tun kann, deshalb erwartet die Eingrenzung der Messung von PSR J0952-0607 neben fantastischen Beobachtungsbedingungen auch die Ära des 30-Meter-Teleskops“, ergänzte Romani.

Die anderen Co-Autoren der Studie sind Thomas Brink und WeiKang Zheng von der University of California in Berkeley. Die Studie wurde von der National Aeronautics and Space Administration (80NSSC17K0024, 80NSSC17K0502), dem Christopher R. Redlich Fund, der TABASGO Foundation, und dem Miller Institute for Basic Research in Science an der UC Berkeley unterstützt.

Studie: „PSR J0952-0607: The Fastest and Heaviest Known Galactic Neutron Star“ von Romani et al., Astrophysical Journal Letters

Quelle

(THK)

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